Löst Atomkraft die Klimakrise? – Zielkonflikte der Transformation

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„Die EU Taxonomie hilft Akteuren im Finanzsystem zu erkennen, welche potenziellen Investitionen grün sind, also zur Gestaltung eines nachhaltigen Finanzwesens beitragen. Dabei schafft sie ein einheitliches Verständnis von grünen Aktivitäten. Wie die Diskussion um Atomkraft zeigt, ist ein solches einheitliches Verständnis nicht selbstverständlich.“

Die EU Taxonomie befeuert die Debatte um die Definition von Nachhaltigkeit

Atomenergie muss auf jeden Fall Teil des Energiemix sein“ – mit diesen Worten warb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Nutzung von Atomkraft als Teil eines nachhaltigen Energiesystems der Zukunft. Die Aussage wurde vor dem Hintergrund der laufenden politischen Diskussionen zur Entwicklung der EU Taxonomie getroffen. In diesem Blogbeitrag beleuchten wir die EU Taxonomie im Kontext dieser aktuellen Debatte.

Shopping-Liste für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem

Braune Einkaufsliste am Kühlschrank mit der Aufzählung
Die EU Taxonomie als „Einkaufsliste“ für grüne Investitionen.

Was ist die EU Taxonomie genau? Man kann sich die EU Taxonomie als eine Shopping-Liste vorstellen, die uns helfen soll, für eine nachhaltige Zukunft einzukaufen. Wir kaufen allerdings nicht für den privaten Haushalt ein, sondern wirtschaftliche Aktivitäten an den entscheidenden Stellen im Kampf gegen die Klimakrise. Solche Aktivitäten umfassen beispielsweise die Energieerzeugung, den Transportsektor, den Gebäudesektor oder auch Teile der Industrie wie Zement- und Stahlerzeugung. Die EU Taxonomie hilft uns dabei zu entscheiden, ab welchem Punkt – beziehungsweise Grenzwert – diese Aktivitäten einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Beispiel: Wir möchten herausfinden, ob unser Plug-In Hybrid in eine nachhaltige Zukunft passt. Wir schauen deshalb auf der Shopping-Liste nach, also in der EU Taxonomie. Die Sektion zu Personenkraftwagen gibt uns an, dass bis Ende 2025 Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß von 50g / km als klimaschonend gelten. Diese Bedingung erfüllt unser Plug-In Hybrid und gilt somit nach der EU Taxonomie als grün. Werfen Sie gerne selbst einen Blick auf die EU Taxonomie im EU Taxonomy Compass der Europäischen Kommission.

Einheitliche Definition von „grün“ im europäischen Finanzsystem

Warum braucht es die EU Taxonomie? Die EU Taxonomie ist natürlich nicht entwickelt worden, um uns bei der Auswahl unseres nächsten Autos zu unterstützen. Die Gestaltung eines nachhaltigen Finanzwesens ist in den letzten Jahren sehr stark auf die Agenden von Vorständen gerückt. Ein(e) Banker*in hat in den meisten Fällen allerdings keine Ausbildung im Bereich der umweltbezogenen Naturwissenschaften und umgekehrt sprechen die meisten Naturwissenschaftler*innen nur bedingt die Sprache der Banker*innen. Es treffen zwei Welten aufeinander und schnell wurde klar, dass es eine Brücke zwischen den beiden Welten braucht. Die EU Taxonomie bildet diese Brücke.

Ein Wegweiser in einer kargen Landschaft mit Schildern, die in viele verschiedene Richtungen zeigen
Für die Gestaltung eines nachhaltigen Finanzwesens braucht es ein einheitliches Verständnis von grünen Aktivitäten.

Die EU Taxonomie hilft Akteuren im Finanzsystem zu erkennen, welche potenziellen Investitionen grün sind, also zur Gestaltung eines nachhaltigen Finanzwesens beitragen. Dabei schafft sie ein einheitliches Verständnis von grünen Aktivitäten. Wie die Diskussion um Atomkraft zeigt, ist ein solches einheitliches Verständnis nicht selbstverständlich. In diesem Kontext wird auch oft das Thema Greenwashing diskutiert. Lesen Sie hierzu auch den Blogbeitrag von Torsten Becker.

Die EU Taxonomie alleine wird nicht die Klimakrise lösen. Sie kann aber helfen, Finanzströme auf nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten umzulenken und somit bessere Finanzierungskonditionen für nachhaltige Geschäftsmodelle zu schaffen. Außerdem hat sie bereits einen intensiven öffentlichen Dialog zur Frage angeregt, wie Nachhaltigkeit zu definieren ist. Dies zeigt nicht zuletzt die Aussage von Emmanuel Macron.

Nachhaltigkeit – eine Bewegung, viele Ziele

Die meisten Menschen stimmen vermutlich der Aussage zu, dass eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft sinnvoll ist. Wenn man nachfragt, was das konkret heißt, bekommt man wohl jedoch verschiedene Antworten. Für einige bedeutet Nachhaltigkeit Klimaschutz, für andere den Erhalt der Artvielfalt oder die Reduktion von Umweltverschmutzung. Auch soziale Aspekte wie universeller Zugang zu Nahrung, Bildung oder Transport könnten hier aufgeführt werden. Alle genannten sowie weitere Aspekte sind relevante Bestandteile der Nachhaltigkeit. Diese Vielfalt an Zielen innerhalb der Nachhaltigkeitsbewegung sorgt gelegentlich für Zielkonflikte.

Beispiel: Es könnte für den Klimaschutz sinnvoll sein, Bahngleise durch ein Naturschutzgebiet zu verlegen, um zwei Städte effizienter miteinander zu verbinden. Diese Bahnstrecke könnte allerdings die Artenvielfalt in der Region mindern. Sollen die Gleise nun verlegt werden oder nicht?

Die EU Taxonomie ist so gestaltet, dass Zielkonflikte möglichst von vornherein vermieden werden. Zu diesem Zweck wurden für die EU Taxonomie neben den Grenzwerten für substanzielle Beiträge auch Do No Significant Harm (DNSH) Kriterien für die EU Umweltziele entwickelt. Die DNSH Kriterien sollen sicherstellen, dass keinem anderen EU Umweltziel signifikant geschadet wird. Die EU Umweltziele sind:

  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Kreislaufwirtschaft
  • Erhalt der Biodiversität
  • Reduktion von Umweltverschmutzung und
  • Schutz von Gewässern und Meeresressourcen.

Auch Mindestanforderungen an soziale Aspekte sind in der EU Taxonomie verankert.

Löst Atomkraft die Klimakrise und gehört sie in die EU Taxonomie?

Die Internationale Energieagentur prognostiziert in ihrem Energieszenario für eine klimaneutrale Wirtschaft im Jahr 2050, dass Atomkraft weltweit eine leicht abnehmende Rolle im Energiemix von hochentwickelten Volkswirtschaften spielen wird. Das bedeutet einerseits, dass Atomkraft Teil eines klimaneutralen Energiemix sein kann, dabei aber andererseits deutlich weniger relevant sein wird als erneuerbare Energien. Atomkraft ist also eher nicht die Lösung der Klimakrise, wird allerdings weiterhin als Energietechnologie bestehen bleiben. Die Aussage von Emmanuel Macron, dass Atomenergie Teil des Energiemix der Zukunft sein müsse, trifft also nur teilweise zu.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist eine Aufnahme von Atomkraft in die EU Taxonomie allerdings nicht nachvollziehbar. Die DNSH Kriterien spielen hierbei eine zentrale Rolle. Über das Risiko von Atomkatastrophen wie Tschernobyl oder Fukushima und deren Schäden für Mensch und Umwelt im Verhältnis zum erzeugten Strom lässt sich debattieren. Der anfallende Atommüll schadet allerdings direkt dem EU Umweltziel der Kreislaufwirtschaft. Umweltverschmutzung durch anfallenden Atommüll kann mit dem heutigen Stand der Technik nicht ausgeschlossen werden. Diesen EU Umweltzielen wird also signifikant geschadet. Macrons Bemühungen zur Aufnahme der Atomkraft in die EU Taxonomie sind unwissenschaftlich – Atomkraft sollte deshalb auch nicht in die EU Taxonomie aufgenommen werden.

Gelbe Fässer mit Warnhinweisen auf nuklearen Inhalt liegen im Gras in der aufgehenden Sonne

Aktuell zeichnet sich ab, dass Atomkraft aus politischen Gründen dennoch in die EU Taxonomie aufgenommen werden könnte. Das jedoch würde die Glaubwürdigkeit der EU Taxonomie als zentrale Shopping-Liste für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem stark einschränken. Auch der Nutzen für Finanzinstitutionen würde sinken. Deshalb haben sich Organisationen wie die Net Zero Banking Alliance Germany gegen eine Aufnahme von Atomkraft in die EU Taxonomie ausgesprochen. Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme von fossilem Gas zur Energiegewinnung ohne CO2-Abspaltung und Speicherung.

Atomkraft wird nur sehr bedingt zum Klimaschutz beitragen und gehört aus wissenschaftlicher Sicht unter keinen Umständen in die EU Taxonomie. Diskutieren Sie dieses und weitere Themen im Bereich Sustainable Finance gerne mit uns.

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