Nachhaltige Geldanlage: ESG – Eine Klarstellung

12/08/2022 - TORSTEN BECKER Aufstrebende MärkteBlack FridayCashbackCrowdinvestingCyber WeekDiversifikationDivestmentElektrifizierungElektrifizierungsrateEntwicklungshilfeESGEU TaxonomieFossile EnergieGeschenkGhanaGreen FinanceGreen RecoveryGreenwashingGrüne InvestitionenGrüner StromImpact InvestingImpact InvestmentInfrastrukturKlimaschutzKlimawandelKreislaufwirtschaftMini-GridsNachhaltig investierenNachhaltige GeldanlageNachhaltige InvestmentsNachhaltiger KonsumNachhaltiges FinanzwesenNachhaltigkeitRenditeSchwellenländerSDGSolar-PVSolarenergieStromerzeugungSub-Saharan AfricaSustainable FinanceThe Good RollTranslight SolarÜberkonsumVerzinsung

„Ein gutes ESG Rating besagt nicht, dass das entsprechende Unternehmen bzgl. ESG besonders gut performt; mit einer Investition in einen ESG Fonds tun Sie also nichts Gutes für Mensch und Umwelt – vielleicht durch Zufall, aber nicht gezielt.“

„Ihr macht also ESG?!“ ist eine Frage bzw. Einschätzung, die meine Kolleg*innen und ich in vielen Gesprächen über frankly.green hören. Die Antwort lautet: Nein, wir machen kein ESG – wir machen Impact Investing! Das bedeutet, dass unsere Investments eine messbare, positive Wirkung auf Mensch und/oder Umwelt erzielen.

Der oft unterschwellig mitschwingende – oder direkt ausgesprochene – Vorwurf des Greenwashings stört mich persönlich dabei nur wenig. Dagegen haben wir gute Argumente, aus denen sich auch durchaus interessante, konstruktive Gespräche entwickeln können. Die vielen Unklarheiten rund um die Wirkung von ESG Investing haben sich eben auch negativ auf das Image tatsächlich nachhaltiger und wirkungsorientierter Geldanlage ausgewirkt.

Ich bin jedoch immer wieder überrascht, wie wenig anscheinend in der Öffentlichkeit über den Sinn und Zweck von ESG Investing bekannt ist, bzw. dass alles in diesen einen Topf namens ESG geworfen wird. „Grüne Fonds kann ich auch bei meiner Bank machen, warum sollte ich da bei euch investieren“ heißt es oft in Gesprächen zu nachhaltiger Geldanlage. Und natürlich gibt es eine Handvoll Banken, die tatsächlich echte grüne Produkte anbieten. Die allermeisten tun dies aber nicht. Somit ist es leider die Unwissenheit vieler Investor*innen selbst, die Greenwashing überhaupt erst begünstigt. Unwissenheit über die wahre Wirkung angeblich grüner Anlageprodukte, die somit zum Hindernis für tatsächlich wirkungsorientiertes Investieren wird.

Zugegeben, in meinem vorangegangenen Artikel Nachhaltige Geldanlage 2: Alles nur falsche Versprechungen?, der nicht zuletzt ESG Fonds äußerst kritisch betrachtet, habe ich selbst auch nicht wirklich zur Aufklärung beigetragen. Worin genau also liegt das Problem mit ESG Investing? Warum entfacht es einfach nicht die positive Wirkung, die viele Anleger*innen sich wahrscheinlich davon erhoffen? Und kann man überhaupt von Greenwashing sprechen, wenn Anleger*innen gar nicht in die Irre geführt, sondern lediglich in Unwissenheit gelassen werden? Ich hoffe, dieser kleine Nachtrag (2 ½) bringt etwas Licht ins Dunkel.

Noch kurz vorab: Die im Folgenden beschriebenen Fonds werden in der Praxis nicht immer zwangsläufig als ESG bezeichnet. Genauso häufig wird mit dem Begriff Nachhaltigkeit geworben. Der Inhalt und die Probleme sind aber meist die gleichen.

ESG: 3 Buchstaben für mehr Nachhaltigkeit?

Doch der Reihe nach. Auch wenn mittlerweile vorrangig aus (Skandalen) der Finanzbranche bekannt, hat ESG nicht zwangsläufig etwas mit Investieren zu tun. Bei ESG handelt es sich um einen Wandel, ein Umdenken hin zu mehr Umweltbewusstsein, unternehmerischer Verantwortung bzw. einer neuen Unternehmenskultur, die zunächst im Realsektor (Produktion, Handel, Dienstleistungen) Einzug hielt. Und es gibt tatsächlich viele Unternehmen, die diese Verantwortung sehr ernst nehmen, ambitionierte Strategien entwickelt haben und glaubhaft an deren Umsetzung arbeiten.

Nicht zuletzt da es für ESG keinen einheitlichen Kriterienkatalog gibt, lässt sich der Erfolg verschiedener Maßnahmen nur schwierig messen oder vergleichen. Ob eine Verminderung des CO2 Ausstoßes um 10 % gut oder zu wenig ist, hängt nicht zuletzt vom Sektor ab; eine Steigerung der weiblichen Führungskräfte von 1 auf 2 (+100 %) von der Unternehmensgröße, etc. Und letztlich gibt es leider eben auch solche Firmen, die ESG als reines Marketinginstrument verwenden, bei denen sich aber in Wirklichkeit gar nichts zum Besseren gewandelt hat. Greenwashing ist hier zum Synonym sämtlicher Irreführung geworden, selbst wenn diese in den Bereichen Soziales oder Unternehmensführung liegen. Wer weiß, vielleicht kann ja zukünftig die Corporate Sustainable Reporting Directive (CSDR) für etwas Klarheit sorgen.

Im Realsektor bezieht sich ESG also auf die Wirkung, die vom Unternehmen auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung ausgeht – von 0 % bis 100 % (oder vielleicht besser: -10 bis +10). Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen, die ESG ernst nehmen und auf dem „richtigen Weg“ sind, deshalb ein gutes ESG Rating haben – und umgekehrt!

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Ein Missverständnis mit Folgen

Blicken wir nun auf den Finanzsektor. ESG Ratings sind die Grundlage für ESG Investing – also ESG-konforme Anlageprodukte, wie sie von Banken und Fondsgesellschaften zuhauf vertrieben werden. Ein gutes ESG Rating ist in der Finanzbranche relevant, um in einen – sogenannten – ESG Fonds aufgenommen zu werden. Hier besteht jedoch ein fataler Trugschluss bzw. eine gefährliche Irreführung der Investor*innen, welche bislang kaum gesetzlich oder regulatorisch geahndet wird.

Denn: Ein gutes ESG Rating besagt nicht, dass das entsprechende Unternehmen bzgl. ESG besonders gut performt; mit einer Investition in einen ESG Fonds tun Sie also nichts Gutes für Mensch und Umwelt (bzw. vielleicht durch Zufall, aber nicht gezielt). Sondern: Ein gutes ESG Rating besagt, dass sich zukünftig erwartete Entwicklungen bzgl. Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung nach Ansicht der Ratingagentur nicht negativ auf die finanzielle Performance des Unternehmens auswirken werden. Mit anderen Worten: Durch die Investition in einen ESG Fonds stellen Sie sicher, dass Ihr Geld in Unternehmen angelegt wird, deren Renditeerwartung (Aktienkurs, Ausschüttungen) nicht oder nur geringfügig von ESG Einflüssen beeinträchtigt werden.

Nur dafür wurden diese Ratings ursprünglich erfunden: Als Hilfsmittel für Investor*innen, um die Renditeerwartung bzw. das Verlustrisiko einzuschätzen – nicht um zu verstehen, ob ihr Kapital dafür eingesetzt wird, die Welt zu verbessern. Das ist ein grundlegender Unterschied – um nicht zu sagen, das komplette Gegenteil – und mag für viele überraschend kommen. Diese Tatsache erklärt jedoch die Portfoliozusammenstellung solcher Fonds, in denen sich nicht zuletzt die Größen aus der Öl- und Gasbranche tummeln.

Perfekt auf den Punkt bringt es ein Artikel von Ken Pucker und Andrew King mit dem Titel
ESG Investing Isn’t Designed to Save the Planet:

 “Most people assume that ESG Investing is designed to reward companies that are 
helping the planet. In fact, ESG ratings which underlie ESG fund selection are based 
on “single materiality” — the impact of the changing world on a company P&L, 
not the reverse. Asset management firms have been happy to let the confusion go 
uncorrected — ESG funds are highly popular and come with higher management fees. 
The danger with ESG investing is that it might convince policy makers that the 
market can solve major societal challenges such as climate change — when in fact 
only government intervention can help the planet avoid a climate catastrophe.”

Hinzu kommt: Es gibt natürlich nicht nur den einen ESG Fonds. Verschiedene Fonds verfolgen unterschiedliche Anlagestrategien, haben unterschiedliche ESG Definitionen, nutzen unterschiedliche Ratingagenturen, sind unterschiedlich aussagefreudig usw. Oder, wie es Harald Walkate in seinen „10 questions to ask the manager of an ESG fund” so schön beschreibt: “To sum up the problem with ESG funds: you might be tempted to think “all roads lead to Rome”, as the familiar saying goes, but sadly this doesn’t fly in ESG. Because, in ESG, not everyone wants to go to Rome, some want to go to Tokyo, some to Rio.”

Alles Greenwashing – oder vielleicht doch nicht?

Etwas zynisch betrachtet stellt sich somit sogar die Frage, ob man bei ESG Fonds überhaupt von Greenwashing reden kann. Ob die Irreführung der Investor*innen nicht lediglich mangelnde aktive Aufklärung über die Anlagestrategie der Fonds ist. Ob die Verwendung eines grünen Logos und der allgegenwärtigen (ursprünglich positiv konnotierten) Abkürzung ESG denn wirklich arglistige Täuschung darstellt, oder schlichtweg von gutem Marketing im erlaubten Rahmen zeugt? Es gibt für die Finanzbranche jedenfalls (bislang) kaum einen Grund, etwas an dieser Strategie zu ändern. Mit der bisherigen Version des ESG Investing werden große Gewinne erwirtschaftet. Dass es in der Branche aus moralischen Gründen zum Umschwung kommt, ist wohl nicht mehr als reine Utopie.

Auch aus der Wissenschaft kommen eindeutige Ergebnisse und klare Empfehlungen. Der Kapitalmarkt wird von sich aus keine altruistischen Züge entwickeln, um die Klimakatastrophe (oder andere gesellschaftliche Fehlentwicklungen) abzuwenden. Es bedarf der Einführung klarer gesetzlicher und regulatorischer Regelungen – nicht zuletzt was die Bewerbung oder Zusammenstellung von ESG Fonds betrifft. Millionen Menschen tragen mit ihrem Kapital aktiv, aber wohlmöglich unwissend zur Zerstörung der Erde bei. Die Handhabung seitens der Finanzbranche gefährdet das Allgemeinwohl und die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen. Wenn das keine hoheitliche Aufgabe ist, was dann?

Es heißt mal wieder: Selbst genau hinschauen – und mitmachen

Leider verlaufen die Bemühungen seitens der Politik schleppend und sind meines Erachtens wenig zielführend. Auf die praktischen Herausforderungen und wohlmöglich geringe Wirksamkeit, die von verschiedenen Verordnungen und Instrumenten der EU Taxonomie ausgehen, bin ich in meinem vorangegangenen Beitrag näher eingegangen. Und auch in der aktuellen deutschen Bundesregierung gibt es ja durchaus Strömungen, die darauf abzielen, jegliche Einschränkungen für Wirtschaft und Industrie zu verhindern…

Zugegebenermaßen gibt es auch Entwicklungen in die richtige Richtung. Seit Anfang August müssen in Deutschland Banken bei ihren Kunden Interesse und Präferenzen bzgl. nachhaltiger Geldanlage abfragen – und sie entsprechend beraten. Ob jedoch Bankberater adäquat geschult wurden, wann endlich Klarheit bzgl. Anforderungen und Definitionen herrscht, ob offen und ehrlich über die (bislang fehlende) Wirkung von ESG Investing aufgeklärt wird – und ob somit am Ende tatsächlich nachhaltige Anlageprodukte angeboten werden können – bleibt abzuwarten. Der Erfolg dieser Maßnahme wird sich vermutlich erst in mehreren Jahren rückblickend beurteilen lassen.

Es gibt aber auch heute schon etwas, das wir alle tun können: Es gibt alternative Ratingagenturen, die tatsächlich bewerten, welche positive/negative Wirkung Unternehmen auf Mensch und Umwelt haben. Die den Datensatz quasi umdrehen und in die richtige Reihenfolge bringen. Die transparent und unabhängig handeln, und nicht vom bewerteten Unternehmen selbst beauftragt wurden. Impaakt bspw. bindet die Zivilgesellschaft ein, sammelt weltweit Daten von über 50.000 Beteiligten, und konnte bereits zu vielen Tausend Unternehmen leicht verständliche Wirkungsanalysen erstellen. Diese sind kostenlos einsehbar. Jede*r kann die Daten nutzen – und dazu beisteuern!

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