Nachhaltige Geldanlage: Divestment oder Engagement – Zum Umgang mit Öl und Gas
„Wie umgehen mit dem Öl- und Gassektor, der sich bereits in meinem Anlageportfolio befindet? Was tun mit ETFs, die man zum Vermögensaubau im eigenen Online-Depot liegen hat, und von denen viele die großen Aktienindizes nachbilden, die wiederum zu einem nicht unerheblichen Anteil Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor beinhalten? Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis herrscht hierzu wie so oft Uneinigkeit.“
In Nachhaltige Geldanlage 2 ging es um die leeren Versprechungen vieler Banken und Fondsanbieter. Zur Erinnerung: Selbst wer „nur“ ein Bankkonto hat, ohne selbst aktiv zu investieren, muss bei den allermeisten Banken davon ausgehen, dass das Geld in umwelt- und klimaschädlichen Branchen eingesetzt wird. Allein die 30 weltweit größten Finanzinstitute haben in den vergangenen zwei Jahren über 740 Mrd. US-Dollar in den Öl- und Gassektor investiert. Die „Net Zero Verpflichtungen“ vieler Banken sind also nicht mehr als reine Lippenbekenntnisse.
Nun zeigt sich, dass das Problem noch eklatanter sein könnte als bislang angenommen. Die Öl- und Gasindustrie befindet sich weiterhin auf massivem Expansionskurs – auch bzgl. Investitionsvolumen. Die im Rahmen der Weltklimakonferenz (COP27) in Ägypten präsentierte Aktualisierung der Global Oil and Gas Exit List (GOGEL) – eine Datenbank, die mit rund 900 Unternehmen ca. 95 % der weltweiten Öl- und Gasproduktion abdeckt, und die nicht zuletzt Banken und Asset Managern bei Investitionsentscheidungen helfen soll – kommt zu erschreckenden Erkenntnissen: 655 der 685 erfassten Upstream-Unternehmen haben derzeit Pläne, ihre Förderung auszubauen bzw. neue Ressourcen zu erschließen (+20 % seit der letzten Erfassung 2021). 512 davon verfolgen aktive Schritte, in den nächsten sieben Jahren 230 Milliarden Barrel Öläquivalent an bislang unerschlossenen Ressourcen in Produktion zu bringen.
Die bei der Förderung und Verbrennung dieser Ressourcen entstehenden Treibhausgasemissionen – geschätzte 115 Milliarden Tonnen CO2e – würden dem 30-fachen jährlichen Ausstoß der gesamten EU entsprechen. Unser verbleibendes „CO2 Budget“ wäre somit in wenigen Jahren erschöpft. Oder anders herum gesagt: Diese Öl- und Gasvorkommen müssen unbedingt unter der Erde bleiben, wenn zumindest noch eine Minimalchance auf das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels bestehen bleiben soll.
Die NGO urgewald, welche die GOGEL gemeinsam mit 50 Partnern erstellt, titelt in ihrer Pressemitteilung zu den aktuellen Zahlen: „Öl- & Gasindustrie ist bereit, die Erde zu opfern“. Fast zeitgleich sagte UN Generalsekretär António Guterres zu Beginn der COP vor Dutzenden Staats- und Regierungschefs: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“ und „Private Investor*innen und Finanzinstitute müssen jetzt aktiv handeln“. In der Weltpolitik scheint dieser Appell weiterhin nur die wenigsten zu interessieren. Die Fakten sind seit vielen Jahren bekannt. Gehandelt wurde bislang nicht. Allein auf das Versagen und die Ohnmacht der Politik zu schimpfen, wäre aber zu einfach. Schließlich kommen viele Milliarden US-Dollar, die den Öl- und Gassektor antreiben – wissentlich oder unwissentlich, direkt oder indirekt – von uns Privatpersonen.
Die richtige Anlagestrategie
Mit dem Wechsel zu einer sozial-ökologischen Bank kann man zumindest schon einmal sicherstellen, dass das Geld auf dem Girokonto verantwortungsvoll und wirklich nachhaltig eingesetzt wird. Doch was ist die richtige Anlagestrategie für all diejenigen, die selbst am Kapitalmarkt aktiv sind und ihr Geld mit positiver Wirkung – oder zumindest ohne negative Wirkung – auf Umwelt und Klima investieren möchten? Dass Greenwashing und Irreführung bei einer Reihe sogenannter ESG Fonds und anderer „nachhaltiger“ Anlageprodukte große Hindernisse darstellen, haben wir im vorangegangenen Beitrag bereits ausführlich beleuchtet. Doch die vielleicht noch schwierigere Frage lautet ja: Wie umgehen mit dem Öl- und Gassektor, der sich bereits in meinem Anlageportfolio befindet – bzw. mit den Fondsgesellschaften, die dort riesige (private und institutionelle) Vermögen investiert haben? Was tun mit ETFs, die man zum Vermögensaubau im eigenen Online-Depot liegen hat, und von denen viele die großen Aktienindizes wie S&P 500 oder MSCI World nachbilden – Indizes, die wiederum zu einem nicht unerheblichen Anteil Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor beinhalten? Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis herrscht hierzu wie so oft Uneinigkeit.
Divestment vs. Engagement
Einerseits gibt es die Vertreter des sog. Divestment – also des „gezielten Verkaufs klimaschädlicher Aktien zur Dekarbonisierung von Investmentportfolios durch private, institutionelle und öffentliche Anleger*innen“, zu denen auch Forscher der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance zählen. Somit sollen Aktienkurse gedrückt und die betroffenen Unternehmen gezwungen werden, klimafreundlicher zu agieren. Auf den ersten Blick scheint diese Strategie intuitiv; die Firmen sollen dort getroffen werden, wo es am meisten weh tut – bei ihrer Kapitalausstattung.** Einen entsprechenden Kausalzusammenhang zeigt auch eine Studie zu 4.500 Investmentfonds, welche im Responsible Investor publiziert wurde.
** In diesem Zusammenhang spielen natürlich auch andere Finanzdienstleiter wie Versicherungen eine wichtige Rolle. So gab bspw. der weltweit größte Rückversicherer Munich Re bekannt, ab April 2023 keine neuen Öl- und Gasprojekte mehr zu versichern (oder zu finanzieren) – und folgt damit dem Beispiel anderer Industriegrößen wie Swiss Re und Allianz. Die Versicherungsbranche zieht sich also sukzessive aus fossilen Brennstoffen zurück.
Dem gegenüber steht das Argument, dass dieser Verkauf durch klimabewusste Anleger*innen lediglich dazu führt, dass sich andere, die sich weniger ums Klima kümmern, die Hände reiben und die Aktien günstig aufkaufen – und dass sich entsprechend im Unternehmen selbst wahrscheinlich wenig ändern wird. Denn nur wer investiert ist bzw. bleibt (Engagement statt Divestment) kann als Aktionär Einfluss auf die Geschäftspraktiken des Unternehmens nehmen. Wenn es nur noch Eigentümer gibt, denen außer Profit alles egal ist, führt das vermutlich nicht zum erhofften Klimaschutz (zumindest solange die nötigen Gesetze und Regularien nicht existieren oder nicht greifen).
Stuart Kirk – ehemals HSBC Global Head of Responsible Investment und spätestens seit seinem spektakulären Rausschmiss wohl eine der kontroversesten Figuren im Sustainable Finance Zirkus – bezeichnet Divestment daher als zwecklos und sogar als „immoral, negligent, and potentially harmful to the environment“. Lediglich beim Börsengang oder bei Kapitalaufstockungen von Öl- und Gasfirmen könnte man ihnen durch die Verweigerung frischen Kapitals wehtun – nicht jedoch durch den Verkauf bestehender Beteiligungen am Sekundärmarkt (Aktienmarkt).
Das vermutlich bekannteste Beispiel für die Engagement-Strategie ist der alternative Hedgefonds Engine No.1, der letztes Jahr drei Vorstandssitze beim US-Ölriesen Exxon Mobil einnehmen konnte und trotz einer verschwindend geringen Beteiligung von 0,02 % das klare Ziel ausgerufen hat, das Unternehmen umzukrempeln um den CO2-Abdruck zu reduzieren. Erstaunlicherweise hatte Engine No.1 hierbei die Unterstützung von drei der größten Vermögensverwalter der Welt – BlackRock, Vanguard und State Street, die auch den Großteil der Exxon Aktien halten. Dafür gab es sogar Applaus von Stuart Kirk…
Oder regelt es der Markt doch von selbst?
Und dann gibt es noch eine dritte Sicht auf die Dinge – eine, die die in der Wissenschaft generell sehr verbreitete Frage nach „Korrelation oder Kausalität“ stellt, und bspw. in Beiträgen von Tom Gosling oder Florian Heeb aufgegriffen wird. Ziehen sich Investor*innen denn wirklich aus ethischen oder moralischen Gründen aus fossilen Brennstoffen zurück, oder weil sie sich tatsächlich um die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors sorgen? Haben steigende Konkurrenz durch immer kostengünstigere erneuerbare Energien, Urteile wie jenes gegen Royal Dutch Shell oder mögliche regulatorische Änderungen dazu geführt, dass sich Gewinnaussichten reduziert haben? Divestment-Befürwortern wird es vermutlich egal sein, ob die Aktienkurse der Ölfirmen fallen, weil Investoren ihr ökologisches Gewissen einschalten, oder weil der Sektor selbst an Profitabilität einbüßt. Für Wissenschaft, Wirtschaft und natürlich auch jede einzelne Anlegerin macht es aber schon einen Unterschied, ob es sich beim Divestment um eine profitorientierte Marktdynamik oder „nur“ um Umweltschutz und Gemeinwohl handelt.
Na dann mach ich doch… ja was denn nun?
Aber was bedeutet das alles nun für uns persönlich? Wie künftig umgehen mit diesem nicht ganz trivialen Themenkomplex? Rein oder raus aus Öl- und Gasfirmen? Letztendlich hängt es auch nicht unerheblich davon ab, wieviel Einfluss ich als Kleinaktionär*in nehmen kann, bzw. wie ich sicherstellen kann, dass mein Fondsmanager auch wirklich meine Interessen vertritt.
Eine interessante (oder ignorante?) Entwicklung wurde Anfang November von BlackRock Chef Larry Fink bekannt gegeben. So will der weltweit größte Vermögensverwalter in einem Pilotprojekt für verschiedene UK-Fonds künftig Kleinanleger*innen selbst bei den Jahreshauptversammlungen der Portfoliofirmen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit eintreten lassen. Fink selbst nennt diese Herangehensweise a “revolution in shareholder democracy” that will “transform the relationship between asset owners and companies”. Böse Zungen behaupten jedoch eher, dass BlackRock sich nach Jahren der versäumten Einflussnahme nun vollends aus der Verantwortung stehlen will.
Anmerkung des Autors: Ich selbst muss zugeben, dass mir eine abschließende Meinungsbildung schwerfällt. Prinzipiell glaube ich an eine Kombination aus sinkender Wettbewerbsfähigkeit fossiler Brennstoffe und Engagement bzgl. verbleibender (nötiger) Assets. Momentan wird die Wettbewerbsfähigkeit fossiler Brennstoffe jedoch durch politische Entscheidungen begünstigt, und durch die großen Vermögensverwalter sehe ich mich in „meinem“ Engagement nicht adäquat repräsentiert, während es den kleinen (bzw. unorganisierten Einzelaktionären) weitestgehend an Durchschlagskraft fehlt. Warum schreibe ich also das Ganze hier? Weil es mir wichtig ist, kritische Anleger*innen – und jene, die es werden wollen – für dieses Thema zu sensibilisieren und vielleicht den einen oder anderen Denkanstoß zu geben.
Kulturwandel und Wohlstandsverzicht
Erschwerend kommt hinzu: Zumindest mittelfristig wird vor allem Deutschland massiv von fossilen Brennstoffen abhängig bleiben. Es wäre naiv zu glauben, dass wir uns in 10-15 Jahren komplett klimaneutral mit Energie versorgen könnten. Die Energiewende ist in den vergangenen Jahren zunehmend ins Stocken geraten. Der Netzausbau verläuft schleppend (was nicht zuletzt an uns Bürgern selbst liegt – „not in my backyard!“), tausende Solaranlagen (mehrere dutzend Gigawatt Leistung) können wegen bürokratischer Hürden nicht ans Netz gehen, die politische Lobbyarbeit zum Festhalten am Status Quo funktioniert par excellence. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle auch die Verkehrswende, welche nicht nur an den absurden Preisen öffentlicher Verkehrsmittel scheitert, sondern auch an der Wehrhaftigkeit gegen den damit einhergehenden Kulturwandel. Der Deutsche und sein Auto…
Um zum Schluss noch etwas philosophisch zu werden: Im Großen und Ganzen wird unser Umgang mit fossilen Brennstoffen – sowohl Konsum als auch Investment – von unserer Bereitschaft abhängen, auf zukünftigen Wohlstand zu verzichten – bzw. unsere Definition von Wohlstand zu überdenken. (Investments in) Den Öl- und Gassektor zu verteufeln ist einfach. Sich über Divestment vs. Engagement Gedanken zu machen schon deutlich schwieriger. Die entscheidende Frage wird aber vermutlich sein, inwieweit wir willens sind, auf die Produkte des Öl- und Gassektors zu verzichten. Und wenn wir ganz ehrlich sind, liegt hierin das viel größere Problem.
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